Mit einer interessanten Aufgabe ist das Deutsche Institut für Menschenrechte an uns herangetreten: die Gestaltung der Neuauflage der Materialien zur Menschenrechtsbildung für Jugendliche und Erwachsene. Es sollte sowohl eine barrierefreie Broschüre und ein barrierefreies Pdf werden. Wobei man eher von »barrierearm« sprechen müsste, denn trotz aller Anstrengungen kann man natürlich nie allen Bedürfnissen gerecht werden. Man kann aber versuchen, es möglichst vielen Menschen möglichst leicht zu machen, sich mit einem komplexen Thema zu befassen.
Abgesehen von der Aufbereitung der Inhalte, die beim Institut selbst lag und bei der man auch schon allerhand in Sachen Barrierearmut tun kann z. B. indem man auf eine verständliche und präzise Sprache achtet, soll es im Folgenden um die einzelnen Aspekte gehen, die bei der Gestaltung bedacht und entschieden werden müssen. Für mich unterscheidet es sich dabei nicht wesentlich von einer Broschüre, die nicht explizit barrierearm sein soll, denn im Prinzip möchte ich als Gestalter ja immer dasselbe: dass möglichst viele Menschen Lust haben, sich mit dem behandelten Thema zu befassen.
Eine freundliche, aufgeräumte Gestaltung mit ausreichend Platz zum Luftholen lädt prinzipiell eher zum Lesen ein, als wenn ich die Seiten möglichst mit Text vollstopfe, um „Platz zu sparen“. Die Broschüre ist von den Verfassern bereits in verschiedene Module und diese wiederum in immer gleiche Kapitel aufgeteilt worden – jedes Modul besteht aus einem einführenden Text, weiterführenden Informationen wie Link- und Literaturtipps und einem Übungsteil. Diese Struktur sollte natürlich möglichst schlüssig und einladend abgebildet werden. Dazu gesellten sich einige Infografiken und Tabellen, Übersichten und Zitate, die in den Text integriert werden wollen. Um den Text zu Beginn jedes Kapitels zusätzlich zu strukturieren und eine weitere Leseebene zu schaffen, habe ich zusätzlich einige Passagen aus dem Text hervorgehoben.
Von unseren Vorschlägen zur Covergestaltung konnte sich schließlich die Illustration der »Menschenmenge« durchsetzen – eine schöne Wahl, denn auf die einzelnen Illustrationen konnten wir so auch im Innenteil immer wieder zurück greifen, um die doch eher abstrakten Sachverhalte zu bebildern.
Allein über barrierearme Typografie könnte man ganze Abhandlungen schreiben. Da mir dieser Punkt persönlich am Herzen liegt, möchte ich an dieser Stelle etwas ausholen. Die Handreichungen des Blinden- und Sehbehindertenverbands mögen für den alltäglichen Umgang mit Office-Software in und durch Behörden gedacht sein und sind dafür als grober Leitfaden durchaus hilfreich. Wird man als Gestalter damit konfrontiert, muss man allerdings auch dagegen argumentieren. Dabei hilft unter anderem die DIN-Norm 1450 und mit Normen argumentiert es sich in Deutschland eigentlich immer gut. Aber auch Abseits von Normen gibt es typografische Zusammenhänge, die, wenn man sie bedenkt, bei der barrierearmen Gestaltung helfen.
Drei Dinge möchte ich an dieser Stelle ansprechen. Prinzipiell gilt: Die Schriftgröße (angegeben in der Maßeinheit Punkt) sagt eher wenig über die Lesbarkeit aus. Für Menschen, die (aufgrund des Alters oder einer Sehbehinderung) nicht besonders gut sehen, ist es natürlich prinzipiell hilfreich, wenn die Schrift möglichst groß ist. Dafür einen festen Wert in Punkt einzuhalten (der Blinden- und Sehbehindertenverband schlägt mindestens 12 pt für Lesetexte vor) bringt allerdings überhaupt nichts, da zur Schriftgröße auch die „leeren“ Bereiche um einen Buchstaben zählen. So entstehen bei gleicher Schriftgröße sehr unterschiedliche Eindrücke der tatsächlichen Größe.
In diesem Beispiel sieht man recht deutlich, dass die Größenwirkung einer Schrift hauptsächlich mit der Höhe der Kleinbuchstaben (der sogenannten x-Höhe) zusammenhängt. Die gewählten Schriften stammen sogar aus einer Familie. Für lange Lesetexte eignet sich in diesem Fall die rechte Ausführung besser.
»Die Arial ist ja barrierefrei, weil sie keine Serifen hat«
Auch die Aussage »Die Arial ist ja barrierefrei, weil sie keine Serifen hat« würde ich nicht unterschreiben. Eine Schrift, bei der die Form des großen »I« identisch ist mit der des kleinen »l«, ist in meinen Augen keinesfalls barrierefrei. Das folgende Beispiel zeigt, weshalb eine serifenlose Schrift, die sich bei kritischen Buchstaben quasi einer »Hilfsserife« bedient, sehr viel besser geeignet sein kann als die Arial.
Und auch das ist bereits bekannt: Der Mensch liest üblicherweise nicht jeden Buchstaben einzeln, sondern prägt sich eher komplette Wortbilder ein. Je deutlicher sich die einzelnen Buchstabenformen von einander unterscheiden, desto prägnanter ist das Wortbild. Schriften, bei denen sich die Buchstaben sehr ähnlich sehen, schaffen also weniger prägnante Wortbilder und sind demzufolge schwieriger bzw. anstrengender zu lesen. Auch die – unter Gestaltern übrigens sehr umstrittene – Schrift Rotis, die Hausschrift des Deutschen Instituts für Menschenrechte und somit die Schrift, in der diese Broschüre gesetzt werden musste, ist in meinen Augen leider nicht wirklich barrierearm. Ihr Gestaltungsprinzip beruht nämlich explizit darauf, die Buchstabenformen möglichst ähnlich aufzubauen. Darüber hinaus gibt es noch mehr Nachteile, auf die ich an dieser Stelle nicht näher eingehen möchte. Einige davon sind in einer Neuauflage jedoch zumindest abgemildert worden.
Dass möglichst unterschiedliche Buchstabenformen insbesondere auch das Lesen für Menschen mit Dyslexie oder Lese-Rechtschreibschwäche erleichtern, ist ein weiterer Pluspunkt in Sachen Barrierearmut. Der Niederländische Designer Christian Boer hat sich intensiv mit dieser Problematik befasst und eine Schrift entworfen, die das Lesen speziell für Menschen mit Dyslexie enorm vereinfacht.
Es gibt aber neben der Schriftwahl auch noch andere Parameter, um die Lesbarkeit zu beeinflussen: Zeilenabstand, Zeilenlänge (zu kurze Zeilen sind dabei ebenso lästig wie zu lange Zeilen), Buchstabenabstand, Satzart (z. B. Blocksatz oder Flattersatz), Absätze, Auszeichnungen und – das allerwichtigste – das Zusammenspiel all dieser Parameter, die von Schrift zu Schrift und von Einsatz zu Einsatz sehr unterschiedlich ausfallen können und auch müssen.
Unter anderem aus all diesen genannten Gründen bin ich immer sehr skeptisch, wenn es heißt, eine Schrift muss soundso sein, damit sie barrierefrei ist.
Auch im Hinblick auf den Druck lohnt es sich einige Dinge zu bedenken, um eine Broschüre barrierearm zu produzieren. Abgesehen vom Format, das aus zugegebenermaßen praktischen Gründen in diesem Fall ein A4-Format sein sollte, spielt dabei das Papier eine wesentlich Rolle: Ein ungestrichenes Papier im Innenteil bietet nicht nur eine (wie ich finde) sehr angenehme Haptik, sondern reflektiert auch nicht – im Gegensatz zu matt oder sogar glänzend gestrichenen Papieren. Wer dicht am Papier bei sehr hellem Licht lesen muss, weiß das vermutlich zu schätzen. Für Arbeitsmaterialien, in die man sich vielleicht auch hier und da mal Notizen machen möchte, ist das ohnehin praktischer. Das Papier sollte auch nicht zu dünn sein bzw. eine gute Opazität besitzen, damit der Druck auf der Rückseite nicht durchscheint, denn auch das macht das Lesen anstrengender.
Für den Umschlag haben wir dagegen ein stabiles, matt gestrichenes Papier gewählt, damit die Broschüre auch einige Transporte in verschiedenen Taschen überlebt und man auch mal eine Tasse Kaffee darauf abstellen kann.
Die Bindung ist ebenfalls eine Sache, die man bedenken sollte. Je nach Umfang kommen verschiedene Möglichkeiten in Betracht. Bei einem Umfang von 116 Seiten stellt sich im Prinzip die Frage zwischen Klebebindung und Fadenheftung. Als Mensch mit eingeschränkter Motorik bin ich vermutlich froh, wenn ich die Broschüre einmal aufschlage und sie offen vor mir liegenbleibt, während ich darin blättere, ohne dass ich sie permanent festhalten bzw. offen halten muss. Übrigens auch als jemand, der motorisch normal begabt ist, freue ich mich über gutes Aufschlagverhalten von Schriftstücken. Es gibt auch vernünftige Klebebindungen, keine Frage. Doch die sind mitunter nicht so robust wie eine Fadeneftung.
Was sind denn eigentlich barrierefreie Pdf-Dokumente? Das sind Dokumente, die so aufbereitet sind, dass sehbehinderte oder blinde Nutzer, Nutzer mit motorischen Einschränkungen oder Nutzer, die nicht gut Lesen können – oder einfach alle, die das möchten – das Dokument mit der Tastatur vernünftig benutzen oder es sich mithilfe einer Software vorlesen lassen können. Und hier wird es spannend. Als sehender Designer hat man diese Software im Normalfall nicht bzw. weiß auch nicht wie sich das anfühlt, damit zu arbeiten. Klar wird jedenfalls: Sobald ich darauf angewiesen bin, mir Inhalte vorlesen zu lassen, muss ich die Informationen mitunter anders strukturieren, als wenn ich sie mir selbst ansehe.
Auch die Beschreibung, wie man ein barrierefreies Pdf herstellt, würde eine ganze Broschüre rechtfertigen. Weil das ein spannendes Thema ist (zumindest für einige Leute) und es in diesem Bereich so gut wie keinen umfassenden Leitfaden gibt, überlegen wir momentan, ob wir nicht selbst so einen Leitfaden veröffentlichen sollen. Barrierefreiheit sollte sich nämlich nicht bloß auf DIN-lang-Faltblätter beschränken, sondern vor allem auch bei umfangreicheren Publikationen das Ziel sein und dabei stößt man auf erhebliche Probleme. Im Hinblick auf die wünschenswerte Teilhabe aller Menschen an allen relevanten Informationen fragt man sich schon mal, warum das denn bitte so dermaßen kompliziert sein muss.
Wie fängt man an? Indem man »sauber« in Indesign arbeitet: sofern nicht die Word-Vorlage schon vernünftig strukturiert ist, sollte das zumindest in Indesign penibelst getan werden – also Stilvorlagen bis in den letzten Winkel. In Indesign selbst kann man allerhand vorbereiten, was in der Nachbearbeitung eine Menge Arbeit spart. Doch eine Sache sei gesagt – ohne zusätzliche Software, schafft man es bei umfangreicheren Dokumenten eigentlich nicht. An dieser Stelle sei kurz der Hinweis auf das Indesign-Plugin MadeToTag verwiesen. Um es kurz zu machen: Das Ding ist essentiell
Wenn man dann das ganze Dokument aus Indesign mithilfe des Plugins exportiert hat, ist man aber längst noch nicht fertig. Für ein standardkonformes barrierefreies Pdf-Dokument (zu überprüfen mit der kostenlosen PAC-Software, Acrobat prüft nur unvollständig), muss in Acrobat noch mal einiges nachgearbeitet werden, was man aus Indesign nicht besser hinbekommt. Vor allem Verknüpfungen, Links, Fußnoten (die in Indesign leider immer noch eine sehr vernachlässigte Behandlung erfahren) und Grafiken, die keine sind oder sein sollen, seien an dieser Stelle genannt. Im Prinzip ist alles, was kein reiner Text ist oder als dieser gelten kann, problematisch: Als da wären Tabellen, Infografiken, Infokästen. Dann die Frage, was mit Zitaten passiert, die als visuelle Auflockerung für den Sehenden Leser gedacht sind: weglassen oder vorlesen lassen? Welche Grafiken sind überhaupt für nicht Sehende relevant? Was ist, wenn jemand sehbehindert ist, und sich das Dokument in extremer Vergrößerung anschaut – führt das zu Verwirrungen, wenn auf der Tonspur was anderes passiert als im Dokument selbst?
Weil man all diese Fragen beantworten muss und das Ganze leider nicht immer zur Zufriedenheit prüfen kann, interessiert mich an dieser Stelle vor allem konstruktives Feedback von Nutzern ebensolcher Software. Wer sich für das Thema Menschenrechte interessiert (und wer tut das nicht?) kann das barrierefreie Pdf dazu hier herunterladen.